Die Mehrheit wird zu stark geschröpft, um sie zu quälen.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
(Bertolt Brecht, Dreigroschenoper)
Es ist zwar klar, dass vor allem Parteien wie die CDU oder die FDP grundsätzlich Politik für eine kleine reiche Minderheit im Land machen und daher nicht Politik für die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen machen können. Dennoch muss über solche einfache Erkenntnis hinaus ein Weg gefunden werden, wie man die Situation der Mehrheit verbessern kann. In dem Zusammenhang muss es auch darum gehen, ob wichtige Chancen durch diejenigen, die dafür stehen, für eine Mehrheit kämpfen zu wollen, verpasst worden sind. Genau diese Chancen sollten in Zukunft aufmerksamer genutzt werden, statt es noch einmal zu „versemmeln“.
Daher nehme ich mir heraus, in diesem Beitrag zunächst vor allem die Politik des Bundesvorstandes der Partei DIE LINKE zu betrachten. Dies ist notwendig, um sich ein Bild zu machen, wie in einem weiteren Versuch, hoffentlich durch die Parteineugründung rund um Sahra Wagenknecht, wichtige Möglichkeiten, das Ruder herum zu reißen, nun doch genutzt werden könnten.
Der geschäftsführende Bundesparteivorstand der LINKEN hat seit 2015 mit allen Mitteln verhindert, dass DIE LINKE das Thema „Steuern und Abgaben senken für die große Mehrheit“ prominent platziert und damit andere Parteien aussticht. Vorher hatte er seit 2009 Gegenwehr dagegen geleistet, in seinem Steuerkonzept die Niedrig- und Normalverdiener – in seinen Augen – zu stark zu entlasten.
Ab 2017 war das Steuerkonzept der LINKEN dann aber mit 8 Jahren Verzögerung endlich überarbeitet: Mit ihm wären geringe UND mittlere Einkommen stärker entlastet gewesen als mit dem Konzept jeder anderen Bundestagspartei. DIE LINKE hätte also die Kampagnen der sich als „Entlastungsparteien“ aufspielenden Sozialabbau-Parteien entlarven können. Wollte der Bundesparteivorstand der LINKEN also gar nicht die Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung für sein politisches Angebot bekommen? Die hier vorgelegten Nachweise weisen ganz genau in diese Richtung.
Es ist klar, dass CDU/CSU, FDP, SPD, GRÜNE und auch die AfD keine spürbare Entlastung für die Erwerbstätigen durchsetzen wollen. Denn dies würde zu massiven Mehrbelastungen der wirklich Reichen und der großen Unternehmen in Deutschland führen. Letzteres wäre ja die direkte Folge daraus, wenn eine große Bevölkerungsmehrheit ein freundschaftliches Verhältnis zum Steuerstaat zurück gewinnen und einsehen würde, dass auch man selbst einen gewissen Teil zahlen kann, der aber deutlich geringer als der heute gezahlte sein muss. Bei den wirklich Reichen und Mächtigen, vor allem den größten Konzernen, könnte dann mit Unterstützung der Bevölkerung wieder sehr viel mehr geholt werden. Die öffentlichen Kassen könnten sich füllen, wie schon viele Jahre nicht mehr. Das wollen CDU/CSU, SPD usw. auf jeden Fall verhindern, um die Konkurrenzfähigkeit dieser großen Player auf dem Weltmarkt nicht zu gefährden.
Aber warum gönnte der Parteivorstand der LINKEN diesen Menschen – von Hilfsarbeitern bis zu einem großen Teil der Mittelschicht – ihre Entlastung nicht und wollte sie nicht zum Thema machen? Damit intensiv zu arbeiten, war Beschlusslage der LINKEN, und die Forderung hätte hervorragend zur stets durch den Vorstand beschworenen Gesamtprogrammatik gepasst. Es hätten so viele unnötige Spaltungen in der Gesellschaft überwunden werden können, zugunsten eines breiten Bündnisses gegen die Reichen und Mächtigen!
1. Seit 2020 werden nicht nur Menschen mit niedrigsten Einkommen, sondern nun verschärft auch die Mittelschicht enteignet – Hartz IV -> Corona -> Wirtschaftskrieg
Die Politik der Bundesregierung verletzt seit Jahrzehnten die Interessen der meisten Bevölkerungsschichten, auch derer, die sie gewählt haben. Mit den Coronamaßnahmen seit 2020, den Reaktionen auf den Ukrainekrieg mit Militarisierungsschub, Wirtschaftskrieg und wegen der aus letzterem vor allem in Deutschland resultierenden massiven Teuerung hat diese bevölkerungsfeindliche Politik enorm an Vehemenz zugelegt.
In einer ersten, deutlich längeren Variante dieses Beitrags hatte ich auch diese Aspekte, die die Tagespresse der letzten Jahre dominiert haben, recht ausführlich kommentiert. In diesem Beitrag möchte ich mich aber vollständig auf die Tatsache der Überbelastung der großen Mehrheit mit besonders für diese Bevölkerungsgruppen in die Höhe getriebener Einkommensteuer und ebenfalls speziell für sie unangemessen in die Höhe getriebenen Abgaben in die Sozialversicherungen konzentrieren und das Potential für politischen Umschwung in ihrem Interesse, das in Veränderung auf diesem Gebiet schlummert, besonders herausarbeiten.
2. Überlastung der Mehrheit und trotzdem leere öffentliche Kassen – die seit Jahrzehnten bestehende Misere in ihrer bedrückenden Gesamtschau.
Seit einigen Jahrzehnten wird die große Masse der Bevölkerung durch zu hohe Lohn- bzw. Einkommensteuern massiv überbelastet. Der Fiskus besteuert sogar das Existenzminimum und füllt seine Kassen mit Steuergeld, das Geringverdiener am wenigsten, aber auch alle anderen Menschen, abgesehen von Spitzenverdienern, nicht entbehren können. Das hat sogar das Bundesverfassungsgericht zu Beginn der 90er Jahre festgestellt. Alles, was in dieser Beziehung seitdem durch Bundesregierungen unverändert weiter betrieben wurde, ist zwar, dank juristischer Tricks, nicht im engsten Wortsinn verfassungswidrig. Aber die Überbelastung wird spätestens seit 1996 gegen die Intention eines einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts absichtsvoll weiter betrieben. Hierzu folgen vertiefende Fakten in Abschnitt 7. Zunehmend größere Teile der Bevölkerung können kaum noch Reserven für schwierige Lebenssituationen aufbauen, etwa für selbst bestimmte Fortbildung, Reparaturen am Eigenheim usw.
Angemessene Beiträge zu Steuern und Sozialversicherungen statt der vorsätzlichen Überbelastung würde für die große Mehrheit bedeuten: Je nach Einkommensniveau 1.000 bis maximal sogar 2.500 EUR jährlich mehr auf dem Konto zur eigenen freien Verfügung zu haben. Dieses enorme Entlastungspotential, von dem die breite Bevölkerung profitieren könnte, ließ sich am Steuerkonzept der LINKEN seit 2017 ablesen und würden die vielen Millionen Menschen als Verbesserung des eigenen Kontostands deutlich spüren.
Umgekehrt wird die Bevölkerung aber seit vielen Jahrzehnten durch die eigene Überlastung mit Steuern und Abgaben dazu verführt, Parteien zu wählen, die ständig Steuerentlastungen versprechen oder gegen die Sozialversicherungen polemisieren wie vor allem FDP, CDU und AfD, aber auch SPD und B90/GRÜNE. So konnten alle Bundesregierungen mindestens der letzten vier Jahrzehnte Entlastungen in vielfacher Milliardenhöhe für sehr reiche Menschen durchsetzen. Auf große Vermögen und große Unternehmen waren die Entlastungsprogramme zugeschnitten, während die große Mehrheit überbelastet blieb. So blieb für diese Mehrheit ebenso lange der Anreiz bestehen, Parteien zu wählen, die von Entlastung sprechen und öffentliche Leistungen systematisch abbauen. Zum Schaden der großen Mehrheit! Aber zum Nutzen des deutschen Imperialismus in der internationalen Konkurrenz. Mehr auch zu diesem letztgenannten Aspekt im letzten Abschnitt dieses Beitrags.
3. Was hängt alles an der zu niedrigen Besteuerung der Reichen, also des Kapitals?
Was resultiert aus den oben erwähnten Mechanismen? Die gewaltigen Steuergeschenke vor allem für eine kleine superreiche Minderheit haben fatale Folgen für die große Mehrheit. Denn leere öffentliche Kassen verursachen
- Stellenabbau, Lohnverluste und Leistungsstress im öffentlichen Dienst. Dadurch können die privaten Arbeitgeber Löhne immer weiter drücken und durch Arbeitsverdichtung immer mehr aus den Arbeitnehmern herausquetschen. Dies schwächt bekanntermaßen auch die Kampfkraft der Gewerkschaften, in öffentlichen und in privaten Betrieben.
- Sinkende Servicequalität bei öffentlichen Dienstleistungen. In der öffentlichen Daseinsvorsorge nimmt das Spardiktat von Jahr zu Jahr weiter zu. Die Folge: Pflegenotstand, „Fachkräftemangel“ im ÖPNV, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen.
- Immer mehr Zuzahlungen bei öffentlichen Dienstleistungen z.B. in Form von Krankenhausgebühren, notwendigen Zusatzversicherungen, Verwaltungsgebühren, steigenden Eintrittspreisen für öffentliche Einrichtungen und weitere Abgaben, mit denen sich z.B. Kommunen trotz zu geringer Mittelzuweisungen von Bund und Ländern über Wasser halten wollen.
- Galoppierende Mieten in großen Städten und ihrem Umfeld, weil öffentliche Wohnungsgesellschaften privatisiert worden sind, um öffentliche Kassen zu sanieren und aktuell ebenfalls aufgrund leerer öffentlicher Kassen kaum noch öffentlicher Wohnungsbau möglich ist.
- Sinkende Renten, sprich: wachsende Altersarmut, weil die Rentenformel immer weiter verschlechtert wird, damit aus immer schlechter gefüllten Rentenkassen angeblich dem Umlagesystem entsprechende Auszahlungen getätigt werden können.
Die Aufzählung ließe sich für alle Lebensbereiche wie Feuerwehr und Katastrophenhilfe, Straßenbau und Schienennetz, Bildung, Jugendhilfe, Fürsorge für Menschen, die – ob wegen Alters oder Krankheit – Unterstützung benötigen, öffentliche Schwimmbäder, Museen und andere kulturelle Orte nahezu unendlich fortsetzen.
4. Soll die Staatsquote ’rauf oder ’runter?
Es liegt im Interesse einer großen Bevölkerungsmehrheit, dass die Staatsquote nicht zu gering sein darf. Staatsquote meint definitionsgemäß die Gesamtheit aller Ausgaben, die aus Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen gespeist werden, bezogen auf die Höhe des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Dass die Staatsquote nicht zu gering sein darf, liegt nicht nur im Interesse aller Menschen, die direkt auf Transferleistungen des Staates angewiesen sind, also Erwerbslose, erwerbstätige Alg-II-Aufstocker, Armutsrentner, Schüler, Studenten und andere Bedürftige, sondern es ist im Interesse aller Menschen, die öffentliche Infrastrukturen benötigen, die also nicht einen eigenen großen Swimmingpool statt Schwimmbad nutzen können, die ihre Kinder nicht auf Privatschulen schicken können und wenn sie krank sind, nicht in Privatkliniken gehen usw. Die Lebensqualität aller dieser Menschen – also fast aller Bundesbürger – hängt zu einem hohen Maß davon ab, dass die Staatsquote nicht zu niedrig sein darf und die öffentlichen Kassen gut gefüllt werden.
Wenn aber speziell die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen sehr hoch besteuert werden, dann entsteht für sie der Eindruck, dass der Staat sich zu sehr überall einmische, dass er zu viel ausgebe – die Staatsquote also viel zu hoch sei. Sie erkennen vermeintlich eine zu hohe Staatsquote daran, wie wenig von ihrem Bruttoeinkommen bei ihnen verbleibt und wie viel sie davon an den Staat oder die Allgemeinheit (gesetzliche Krankenversicherung usw.) abgeben müssen. Sie bemerken, dass von ihrem Bruttoeinkommen ein großer Teil in Steuern und Abgaben geht (Definition der Staatsquote) und schließen daraus darauf, dass die Staatsquote auch ganz allgemein sehr hoch sei. Wie sollen sie auch darauf kommen, dass ausgerechnet sie sehr stark belastet werden, Steuern für Reiche und Unternehmen aber in den letzten Jahrzehnten massiv gesenkt worden sind, so dass die Staatsquote insgesamt zu niedrig ist? Wie sollen sie darauf kommen, dass Steuersenkungen dringend angesagt sind, aber ausschließlich für sie selber? Wer wagt schon, politische Forderungen so scheinbar egoistisch zu formulieren?
So lassen sie sich für Privatisierungen in allen Bereichen gewinnen, sind auf jeden Fall nur schwer in einer großen Breite gegen Privatisierungen mobilisierbar und wählen Parteien, die zum Ausdruck bringen, dass sie die Staatsquote senken oder niedrig halten wollen. (FDP, CDU/CSU, AFD und – soweit sie ebenfalls versprechen, Ausgaben zu senken, also den Sozialstaat demontieren wollen – auch SPD und Grüne.
Aber am wenigsten wird irgend eine Partei, die von einer sozialistischen Perspektive spricht und die sagt, dass sehr viel öffentlich finanziert und organisiert werden soll, gewählt, wenn einmal der Gedanke sich festgesetzt hat, dass, damit man nicht zu sehr geschröpft wird, der Staat viel weniger tun solle.
Um diesen falschen Schlussfolgerungen zu begegnen, hätte es in den letzten Jahren sehr deutliche Signale der LINKEN gebraucht – mindestens einen Wahlkampfschwerpunkt, wenn nicht sogar jahrelanges „Herumreiten“ der Partei auf der Tatsache, dass sie (fast) jeden stärker entlasten möchte als irgend eine andere Partei und Mehreinnahmen lediglich von dort holen will, wo in den letzten Jahrzehnten immer weniger geholt worden ist – von Reichen und Unternehmen.
Niemand hätte der Partei nachweisen können, dass an ihren Entlastungsversprochen etwas nicht stimmen würde. Weil es dort nun einmal keine Schwachstelle gibt! Aber das Thema wurde und wird durch DIE LINKE nicht genutzt. Linke Politik steht nach wie vor im Verdacht, Steuern und Abgaben für alle zu erhöhen.
Ich hoffe, dass das Projekt von Sahra Wagenknecht sich dieses Themas an prominenter Stelle und in großer bundesweiter Breite annehmen wird.
5. Polit-Theater statt echtem Kampf für Veränderung.
Findet es statt, weil eine ultimative Konfrontation mit dem Kapital gemieden wird?
Das im vorigen Abschnitt 3. Dargestellte, nämlich die über Jahrzehnte fortschreitende Zerstörung der Infrastrukturen, die die große Mehrheit für ein gutes Leben bräuchte, ist nichts Neues und auch die alte Partei DIE LINKE hat immer vertreten, dass es hier Veränderungen zurück zum Besseren geben muss und kann. Das konnte von der Masse der Bevölkerung aber nur als leeres Versprechen wahrgenommen werden, weil man der LINKEN nicht zutraute, es überhaupt umsetzen zu wollen, geschweige denn zu können – denn, wie der Volksmund es ausdrückt: „Wo soll denn das nötige Geld herkommen?“ Mit jedem Mal, wenn diese Partei und ihre Gliederungen auch noch vor Widerständen zurückschreckte und es nicht wagte, im Gegenwind der veröffentlichten Meinung stabil ihre Position zu halten, traute man ihr immer weniger zu. DIE LINKE warf nahezu alles für Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen über Bord, wollte möglichst viele Regierungsbeteiligungen in den Ländern erreichen, obwohl bei den klammen Kassen der Gestaltungsspielraum nur gering sein konnte, solange man der Bundespolitik nicht den eigenen Stempel aufdrücken, keine Besteuerung des Reichtums für eine Gesundung der öffentlichen Finanzen durchsetzen konnte.
Entsprechend konnte DIE LINKE Regierungsbeteiligungen in den Ländern nur unter der Bedingung erreichen, dass sie sich an SPD und GRÜNE annäherte und auch zunehmend in der Presseöffentlichkeit allzu scharfe Konflikte vermied.
Als Sahra Wagenknecht noch Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag war, vertrat sie stets die Position, dass man sich nur auf Koalitionen mit anderen Parteien einlassen dürfe, wenn man auf diese Weise die eigene Politik im Interesse der Bevölkerung umsetzen könne. Damit störte sie diejenigen Kräfte in der LINKEN, die gerne für Regierungsbeteiligungen die Interessen der Bevölkerung hinten runter fallen lassen wollten. Aktuell (Dezember 2023) vertritt Sahra Wagenknecht in Talkshows die Position, dass gerade in der derzeitigen wirtschaftlichen Krisensituation Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung notwendig seien.Auch ihre Andeutungen, dass auf Landesebene Schuldenbremsen aufgelöst werden müssten, um überhaupt wieder verantwortbare Politik in einem Bundesland umsetzen zu können, haben die gleiche Stoßrichtung.
So könnte für eine politische Perspektive geworben werden, dass man sich – aber nur unter den genannten Bedingungen! – auf Landesebene an Regierungen beteiligt, um auch sehr zügig auf Bundesebene Druck für eine gute Finanzierung der Staatsfinanzen durch die Besteuerung der Reichen und großen Konzerne zu machen – derjenigen, die seit vielen Jahrzehnten immer größere Steuergeschenke bekommen haben und ihren Reichtum in irren Luxuxkonsum, in Yachten, die kein Mensch wirklich nutzen kann, Villen in aller Welt usw. gesteckt haben.
Parteivorstand der LINKEN wollte Entlastungsforderungen nicht zum wahrnehmbaren Wahlkampfthema werden lassen
Man wollte der Bevölkerung die zum eigenen Wahlprogramm gehörenden sehr attraktiven Entlastungsforderungen auf keinen Fall prominent vorstellen. Bei dieser oben schon in der Einleitung kurz erwähnten hartnäckigen Weigerung wird die Haltung und Strategie der LINKEN, die hinter ihrem Handeln der letzten Jahre steht, besonders in ihrer Qualität mit sehr tiefsitzenden Ursachen deutlich.
Denn da, wo jemand widersprüchliches Handeln nicht begründen kann und noch nicht einmal eine Begründung versucht, sondern er lediglich hofft, dass möglichst wenig Menschen bemerken, was er da tut, muss nach der wahren Ursache ganz wo anders gesucht werden.
Der Parteivorstand und der „Apparat“ der LINKEN, der die Kontrolle über die tatsächliche Umsetzung von politischen Beschlüssen hatte, wollten auf keinen Fall zulassen, dass die Partei mit der breit in die Bevölkerung gestreuten Information für sich wirbt, mit ihrem Steuerkonzept für die große Mehrheit höhere Entlastungen vorzusehen als alle anderen Bundestagsparteien.
Das ging so weit, dass er im Jahr 2017 nur für die interessierte Mitgliedschaft eine Kampagne „DIE LINKE lohnt sich“ fingierte. Dazu beauftragte er – wahrscheinlich mit Unkosten verbunden – Comiczeichner, ließ Fachleute umfangreiche Berechnungen anstellen, um exemplarische Tabellen zur Entlastung verschiedener Familienkonstellationen zu entwickeln und ließ eine Kampagnenseite aus einem Guss erstellen.
Diese Internetseite wurde nicht besonders gefeatured oder intensiv in sozialen Medien verbreitet. „DIE LINKE lohnt sich“ war nur sehr kurz, lediglich entsprechend der Logik des Homepage-Scripts auf der Startseite von die-linke.de sichtbar, um kurz danach nur noch schwer auffindbar zu sein. Dank einer Sicherungskopie im Internet-Archiv kann man auch heute noch sehen, wie diese „Kampagnenseite“ für Homepage-Besucher nur über ein Untermenü dritter Ordnung (Themen -> Umverteilen -> DIE LINKE lohnt sich!) auffindbar war. Es wurde nie auch nur ein einziges Blatt Papier mit den Aussagen dieser „Kampagne“ gedruckt. Offenbar wich der Apparat mit dieser Kampagnen-Simulation einem Druck im erweiterten Parteivorstand aus. Dort wurde von verschiedenen Seiten aus auf die niedersächsische, eigentlich auf die Bundesebene zielende Kampagne „Das rechnet sich!“ hingewiesen und dazu aufgefordert, inhaltlich entsprechend auch als Bundespartei in die Offensive zu gehen.
Drei Jahre später ignorierte der Parteivorstand und Apparat sogar einen ausdrücklichen und nahezu einstimmig gefassten Beschluss (eine dringliche Empfehlung) des Bundesausschusses der LINKEN vom 19. September 2020, endlich im Bundestagswahlkampf 2021 den Kreisverbänden Massenmaterial zum Entlastungsthema zur Verfügung zu stellen.
Wahlkampftaktisch muss es unlogisch erscheinen, dass DIE LINKE, wenn sie zu dem Thema „Steuerkonzept“ öffentlich aktiv wird, stets nur die notwendigen Steuererhöhungen für Reiche thematisiert, nicht aber die Maßstäbe setzenden durch DIE LINKE vorgesehenen Entlastungen bei Steuern und Abgaben für die übergroße Mehrheit betont. Denn Steuererhöhungen für Reiche werfen in der Gesamtbevölkerung regelmäßig die Frage auf, ob nicht auch Menschen mit mittleren Einkommen Nachteile erleiden würden. Mit der Betonung der Entlastungen könnte DIE LINKE nicht nur die Bedenken in der Bevölkerung zerstreuen, sondern direkt zum Angriff auf die anderen Bundestagsparteien übergehen, die in der Öffentlichkeit umso mehr verlieren würden, je mehr sie versuchen würden, zu widersprechen und sich damit auf das Thema einlassen müssten. Die Entlastungsforderungen der LINKEN, wie sie die Mitgliederbasis seit 2014 auf dem Weg durch die Gremien als Einkommensteuerkonzept durchgesetzt hat, sind wasserdicht begründet.
Wo sich Presseorgane wie die F.A.Z., Süddeutsche Zeitung usw. mit diesem Konzept und den Entlastungsforderungen der LINKEN auseinandergesetzt haben, stand nicht nur DIE LINKE in einem glänzenden Licht da, sondern es lief auch auf scharfe Kritiken an den anderen Parteien wie z.B. „Steuerbetrug“ hinaus. Da diese Fakten verdienen, im Detail betrachtet zu werden und wahrscheinlich nicht so eben mal „geglaubt“ werden, widmen wir uns dem noch ausführlicher in den untenstehenden Abschnitten 7., 8. und 9.
Der nächste unbeholfene Versuch der LINKEN, Reiche und Unternehmen zu besteuern
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Diese Erkenntnis ist zwar entgegen vielfacher Behauptung kein Zitat von Albert Einstein, dafür aber umso wichtiger und richtiger, gerade in dem Fall der Herausforderung, vor der wir hier stehen. Es ist nicht erst DIE LINKE, die an der Herausforderung, eine höhere Besteuerung der reichsten Menschen und der größten Unternehmen in Deutschland durchzusetzen, auf ganzer Linie und mehrfach gescheitert ist. DIE LINKE tritt mit diesem Scheitern in die Fußstapfen der Gewerkschaften, der Sozialverbände und etlicher linker Parteien. Wir sehen eine Tradition des Scheiterns seit mindestens 35 Jahren. Um nicht wie ein Wahnsinniger zu handeln, wird es aber Zeit, aus dem Scheitern Konsequenzen zu ziehen, und nach allen Regeln der Kunst, der Logik und der Wissenschaft neue Wege zu suchen, um dem im Interesse des Volkes überaus notwendigen Ziel nach so vielen Jahrzehnten endlich doch näher zu kommen. Wie könnte ein neuer Weg zu dem Ziel aussehen?
Auch aktuell, seit Sommer 2023, findet eine Kampagne der LINKEN „Umsteuern – Holen wir uns den Reichtum zurück!“ statt. Sie erfüllt in ihrer konkreten Ausgestaltung die Eingangs erwähnte Definition von Wahnsinn:
Es ist natürlich notwendig, Geld von den Reichen zu holen. Es muss erläutert werden, warum es im Interesse der Mehrheitsbevölkerung ist, diese Mittel zu heben. Das ist korrekt. Keine Kritik meinerseits. Dies muss alles erläutert werden: Alles, was in den letzten Jahrzehnten zu schlecht finanziert wurde, vom Sozialstaat über Bildung und Gesundheit bis zum ÖPNV, ist besser zu finanzieren. Auch das ist richtig. Diese Aufzählung könnte quasi unendlich fortgesetzt werden. Als ein Beispiel die Altersarmut: Zum Sozialstaat gehört auch die Stützung der gesetzlichen Rente durch Steuern, die massiv aufgestockt werden müsste, um der Altersarmut zu begegnen – für dies alles werden die Steuern der Reichen benötigt. All diese Aspekte bestätigen die Wichtigkeit einer solchen Kampagne.
Jetzt kommt jedoch das große ABER: Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die Mehrheitsvevölkerung, obwohl es in ihrem Interesse wäre, keine Parteien wählt, die vor allem von höheren Steuern für Reiche sprechen. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte haben diesen Leuten ja gezeigt, dass immer sie zu stark belastet werden, wofür auch in diesem Beitrag genügend Belege zu finden sind. Die Geduld dieser Menschen reicht nicht aus, erst einmal Parteien zu wählen, die ans Geld der Reichen herangehen wollen, um so in der Konsequenz „irgendwie“, in einer nicht abschätzbaren Zukunft die Lebensqualität und das Einkommen der großen Mehrheit zu verbessern und gleichzeitig ihre Lebenshaltungskosten zu senken. Sie haben aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte die Befürchtung, dass auch Parteien, die nur die Reichsten belasten wollen, dann doch wieder Mehrbelastungen auch bei der großen Mehrheit bewirken. Gerade dieser Stimmung in der Bevölkerung kann mit dem Entlastungsthema begegnet werden: Wir haben ein klares Angebot (siehe Tabelle Abschnitt 10.), wie wir, wenn wir die Steuerpolitik maßgeblich mitbestimmen, die große Mehrheit entlasten wollen. Wir setzen sogar aufgrund unserer Entlastungsforderungen und der dazugehörigen Aufklärung die anderen Parteien schon aus der Opposition unter Druck, die geforderten Entlastungen schon jetzt selber umzusetzen.
Das wäre möglich, im Rahmen einer Kampagne „Holen wir uns den Reichtum zurück!“.
Jedoch wird auch in dieser Kampagne das durch die Gremien der Partei – also ihre Mitglieder in der großen Mehrheit – beschlossene Angebot der Brutto-Netto-Entlastungen für die Bevölkerungsmehrheit nicht erwähnt und stattdessen das Wort „Entlastung“ fälschlich verwendet, indem damit höhere Bruttolöhne gemeint sind. Auf diese hat Politik im Unterschied zum Steuersystem keinen direkten Einfluss hat. – Bevor dieser Einwand nun fällt: Ja, auf die Einkommen im öffentlichen Dienst hat Politik einen direkten Einfluss. Aber auch wirklich nur dort! Und um die Löhne dort zu erhöhen, müssen aus Steuern gespeiste Ausgaben erhöht werden – womit man wieder unbeirrbar den Weg verfolgt, der schon seit über 30 Jahren nicht zum Erfolg geführt hat. Wahnsinn!
Angesichts dieser Zusammenhänge, Mechanismen und Fakten und weil der Apparat der Partei DIE LINKE so unnötig taktisch unklug vorgeht, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er nur so tun möchte, als wenn er um die Durchsetzung seiner Forderungen nach höherer Besteuerung der Reichen kämpfen würde. Ist dies wirklich der Fall?
Hier ein Versuch zur Erklärung: Wenn man tatsächlich die Unterstützung der Bevölkerung hätte, dann müsste man ernst machen gegenüber dem Kapital, also den Mächtigen unserer Gesellschaft. Man hätte dann ja die Wahlprozente und damit zunehmend die parlamentarische Macht, um Druck für ihre stärkere Besteuerung zu machen.
Es würde eine Eskalation folgen: Das Kapital würde drohen auszuwandern. Man müsste als politische Kraft dann sagen, wie man darauf antworten möchte. Die notwendige Antwort wären Kapitalverkehrskontrollen, mit denen man sich dann im Detail befassen würde. Das würde noch mehr Unmut der Gegenseite hervorrufen und sie würde vielleicht noch tiefer in die Tasten greifen.
Wahrscheinlich, um das nicht am eigenen Leib erleben zu müssen, wollen die an prominenter Stelle verantwortlichen Personen der LINKEN offenbar lieber an dem Punkt hängen bleiben, dass man vergeblich um die Unterstützung der Bevölkerung kämpfe, sie aber nicht erhalte, weil die Leute die Notwendigkeit des linken Programms in seiner Gesamtheit „leider nicht verstehen“.
So lässt sich die ultimative Eskalation im Konflikt mit dem Kapital vermeiden. Es hat ja schon die SPD und nach ihr haben es die Grünen gezeigt, wie es geht, nur Theater zu spielen, welches die Mächtigen zulassen, weil ihr Reichtum nicht ernsthaft angegriffen wird. So findet man als politische Klasse ein Auskommen ohne die Gefahr, persönliche oder gesundheitliche Nachteile zu erleiden. SPD und auch die Grünen (aber erst nach der Zeit von Petra Kelly) haben es vorgemacht, dass das möglich ist (man also nicht ins „Fadenkreuz“ gerät), man bei dem Theater durch die Medien unterstützt und von der Bevölkerung gewählt wird. Das strebt DIE LINKE offenbar auch an und daher hat der Apparat alles getan, um nicht von der Masse der Bevölkerung getragen, sondern lieber vom Kapital und seinen Medien hofiert zu werden.
Für die neue politische Formation im Umfeld von Sahra Wagenknecht, die im Januar 2024 als Partei gegründet wird, kommt es nun darauf an, dass sie nicht wieder vor der Hürde einer ultimativen Konfrontation mit den Mächtigen unserer Gesellschaft scheut. Wenn diese Konfrontation aus Angst vor den Instrumenten der Mächtigen nicht möglich sein sollte, kann es niemals Verbesserung geben. Dann sollte man sich als Mensch, der an echten Verbesserungen der Lebensumstände für die breite Bevölkerung interessiert ist, das Polit-Theater schenken. Denn dann wäre die Politik, wie sie seit Jahrzehnten gegen die Interessen der großen Mehrheit stattfindet, tatsächlich alternativlos.
6. Die Chance die Machtfrage zu stellen, sollte jetzt wahrgenommen werden
Eine neue politische Kraft könnte zwei gewichtige Pluspunkte gegenüber der alten Partei DIE LINKE nutzen und vor allem die anderen, neoliberalen Parteien entzaubern:
- Es geht um den Mut, Positionen zu beziehen, die das Verständnis für die Sorgen der Mitbürger, die Verantwortung für unsere Republik, der gesunde Menschenverstand und das Gewissen nahelegen, auch wenn man Ziel von Gegenkampagnen wird und versucht wird, uns als „rechts“ zu bezeichnen: Wir halten argumentativ dagegen und gewinnen an Glaubwürdigkeit.
Sahra Wagenknecht ist mit ihrer Unbeirrbarkeit, stets das zu vertreten, was ihr ihr Gewissen sagt, ein leuchtendes Vorbild. - Als „Opener“ zum steuer- und sozialpolitischen Programm könnte die neue politische Kraft mit einer vorgesehenen Verbesserung der privaten Haushalte der großen Mehrheit um rund 2.000 EUR/Jahr beweisen, dass alle unterbreiteten Vorschläge finanzierbar sind. Diejenigen, die in den letzten Jahren zunehmend unverfrorener zur Kasse gebeten wurden, sollen massiv entlastet werden. Rund 2.000 EUR ist die Entlastung schon für Haushalte von Alleinstehenden. Es handelt sich bei „rund 2.000,- EUR“ um die Angabe einer Größenordnung. Der tatsächliche konkrete jährliche Betrag ergibt sich natürlich individuell, je nach Einkommen und nach aktuellem Gesetz schon zu zahlenden Abgaben. Er ist für Alleinstehende ersichtlich aus der Tabelle auf www.dasrechnetsich.org. Für Familien springt sogar ein Mehrfaches heraus. Mit diesem Vorschlag legt man gleichzeitig den verdeckten Steuerbetrug aller anderen Bundestagsparteien offen und fordert diese auf ihrem vermeintlich starken – bei CDU/CSU und FDP sogar vermeintlich stärksten! – Fachgebiet heraus. Die uns bisher bekannten Veröffentlichungen der Mainstream-Medien bestätigen ausnahmslos die Solidität des Konzepts (siehe Absatz 9. weiter unten).
Allen eingangs in Abschnitt 2 und 3 aufgezählten Missständen kann der Kampf angesagt werden. Man hebt die seit Jahrzehnten üblichen Bevorzugungen einer kleinen reichen Minderheit auf, damit es uns allen besser geht.
7. Etwas Expertise zur Fundierung: Überbelastung der großen Mehrheit – seit 1996 unterlaufen alle Bundesregierungen absichtsvoll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Damit unsere Kampfansage aus dem vorigen Abschnitt nicht nur heiße Luft ist, sondern klar ist, dass wir keine öffentliche Auseinandersetzung darüber fürchten müssen, sollen im Folgenden einzelne Punkte mit Nachweisen, Analysen und auch Beispielen hinterlegt werden.
Im Jahr 1992 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungswidrigkeit des deutlich zu niedrigen Grundfreibetrags der Einkommensteuer im deutschen Steuerrecht fest. Dieser Grundfreibetrag hatte bis dahin nicht im Geringsten etwas mit dem Existenzminimum von Erwerbstätigen zu tun, was er aber vorgab, zu sein. In dem Urteil vom 25.09.1992, unter Randnummer 58, teilt das BVerfG mit: „Zum sozialhilferechtlichen Mindestbedarf zählt § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG auch den Mehrbedarf für Erwerbstätige, der den mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwand abdecken, aber auch den Willen zur Selbsthilfe fördern soll. Dieser Mehrbedarf ist durch die Abziehbarkeit des erwerbsdienlichen Aufwands – der Werbungskosten oder Betriebsausgaben – nicht gedeckt. Diese Aufwendungen sind abziehbar, soweit sie durch die Erwerbstätigkeit veranlaßt sind und keinen ins Gewicht fallenden Bezug zum privaten Bereich aufweisen. Demgegenüber soll der Mehrbedarf nach § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG die durch die Erwerbstätigkeit bedingten erhöhten privaten Bedürfnisse abgelten […].“ (Anmerkung: BSHG = Bundessozialhilfegesetz; Quelle für den Urteilstext https://lexetius.com/1992,419#58, Hervorhebung in Fettdruck war nicht im Original)
So exakt und unausweichlich drückte sich das Gericht im Jahr 1992 also aus: Es geht beim Mehrbedarf um die durch die Erwerbstätigkeit erhöhten privaten Bedürfnisse wie zusätzliche Kosten von Erwerbstätigen für Ernährung, Mahlzeiten außer Haus, Körperpflege, Kleidung, Kontaktpflege und Bedürfnisse des täglichen Lebens; sie sind also sehr klar unterscheidbar von den sogenannten „Werbungskosten“, die nämlich im Gegenteil durch Erwerbstätigkeit bedingte Mehraufwendungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit sind.
Abschließend teilte das Gericht unter Randnummer 82 mit: „Bis zu einer Neuregelung bleiben die für verfassungswidrig erkannten Regelungen weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1996 an die verfassungswidrige durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. […]“ (https://lexetius.com/1992,419#82)
Heute, im Jahr 2023, berechnet sich der Grundfreibetrag der Einkommensteuer, also das steuerliche Existenzminimum von Alleinstehenden, jedoch laut Existenzminimumbericht der Bundesregierung (https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/14-existenzminimumbericht.pdf) folgendermaßen:
Regelbedarf des Bürgergelds (502 EUR) + 319 EUR Bruttokaltmiete + 88 EUR Heizkosten = 909 EUR/Monat, also 10.908 EUR/Jahr.
Es werden also auch aktuell 0 EUR/Jahr für den Mehrbedarf für Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Wie kann das sein? Ist das nicht verfassungswidrig? Nein! Denn:
Die Anweisung des Bundesverfassungsgerichts wurde durch die Bundesregierung ab dem Jahr 1996 durch einen Trick zum Schaden der Erwerbstätigen unterlaufen. Der vorher im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) „Mehrbedarf“ genannte Betrag wurde dort in einen Freibetrag vom Einkommen umbenannt und dadurch entgegen dem Willen des BVerfG der Berücksichtigung für das steuerliche Existenzminimum komplett entzogen, ohne dies im Gesetz wieder zu heilen.
Heute heißt der Betrag im § 11b Sozialgesetzbuch II „Absetzbeträge“ vom Einkommen. Diese können für Alleinstehende monatlich bis zu 300 EUR sein. Auch sie bleiben für den Grundfreibetrag der Einkommensteuer vollständig unberücksichtigt.
Als im Bundestag dieser Coup eingestielt wurde, beschwerte sich der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß noch in der Plenardebatte am 27. Mai 1993: „Die Behandlung des Mehrbedarfs von Erwerbstätigen als Zuschlag oder als Freibetrag vermag doch an der objektiven Höhe des Existenzminimums nichts zu ändern.“ Trotzdem wurde der Mehrbedarf/Freibetrag seit 1996 besteuert. Seit fast vierzig Jahren behandeln alle Bundesregierungen Erwerbstätige steuerlich so, als wären sie erwerbslos.
[Die obigen Ausführungen sind unter anderem auszugsweise einem Flugblatt von 2014 entlehnt. Dessen Verbreitung hatte einen wichtigen Beitrag zum Umdenken in der LINKEN und im DGB geleistet:
http://klartext-info.de/alt/flugblaetter/Mindestlohn_kampagne_steuerfrei.pdf]
Nachdem ab dem Jahr 2014 in der Mitgliedschaft der LINKEN eine intensive Aufklärung über diese mutwillige Beschädigung der Interessen der Erwerbstätigen stattgefunden hatte, beschlossen die Delegierten des Bundesparteitags 2015 in Bielefeld gegen die ausdrückliche Ablehnungsempfehlung des Parteivorstandes und seiner Experten die massive Erhöhung des Grundfreibetrags der Einkommensteuer, formuliert als Forderung nach „Steuerfreiheit jedes gesetzlichen Mindestlohns“.
Im Jahr 2016 forderte DIE LINKE infolge des 2015er Beschlusses einen Grundfreibetrag von 12.600 und – unseres Wissens aufgrund ähnlicher Aufklärung – der DGB einen von 11.000 EUR pro Jahr statt dem damals im Einkommensteuergesetz stehenden von unter 9.000 EUR! Auch der Bundesvorstand des DGB lehnte noch ein Jahr vorher die Forderung nach massiver Erhöhung des Grundfreibetrags der Einkommensteuer ausdrücklich ab. Er sah wie DIE LINKE bis dahin – offenbar entsprechend dem zwischen ver.di und Attac ausgehandelten Konzept einer „Solidarischen Einfachsteuer“ – in seinen Konzepten lediglich eine Erhöhung auf 9.300 EUR vor.
Das änderte der DGB schlagartig in seinen Veröffentlichungen im Jahr 2016 mit der Forderung von 11.000 EUR als Grundfreibetrag der Einkommensteuer.
Dieser Trend hat sich fortgesetzt. Im Jahr 2023 teilt für den Bundesvorstand des DGB sogar seine Vorsitzende der Presse, gemeinsam mit der Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz, mit: „[…] der steuerliche Grundfreibetrag, also das Einkommen, bis zu dem keine Steuer gezahlt werden muss, sollte demnach auf 14.500 Euro angehoben werden.“ (Tagesschau vom 7.8.2023)
8. Wirklich? Die große Mehrheit wird geschröpft, um sie zu quälen?
Die Überbelastung der großen Mehrheit, mit Besteuerung bis ins Existenzminimum ist eine Tatsache, wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde. Aber warum betreiben die neoliberalen Parteien mit nahezu als kriminell zu bezeichnender Energie diese Überbelastung?
Die vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Veröffentlichungen mit der Bezeichnung „Fachserie 14 Reihe 7.1 Finanzen und Steuern – Lohn- und Einkommensteuer“ (hier auf Seite 10) zeigen die Fakten in Euro und Cent: Die Gesamteinnahmen, die als Lohn und Einkommensteuern bei den unteren 50 % der Erwerbstätigen (Menschen mit Jahresbruttoeinkommen bis 29.489 EUR) geschöpft werden, machten im Jahr 2018 nur knapp 16 % der Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuer für den Bundeshaushalt aus. Die Mehreinnahmen, die speziell durch den Schnitt ins Existenzminimum dieser Menschen (siehe Abschnitt 7, Urteil des Bundesverfassungsgerichts) gewonnen werden, sind für den Bundeshaushalt verschwindend gering. Die Gewinnung von Mitteln für den Bundeshaushalt kann also nicht die Triebfeder dafür sein. Aber der Effekt, dass diejenigen, die eigentlich einen gut funktionierenden Sozialstaat mit guter Infrastruktur benötigen, diejenigen Parteien wählen, die ihn kaputtsparen, wird durch die Überbelastung dieser Menschen sehr wahrscheinlich befördert.
Dass die neoliberalen Parteien die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen mit genau dieser Absicht überbelasten, kann man natürlich nicht beweisen. Aber es liegt auf der Hand, dass hier ein Schlüssel liegen könnte, um die Wahlerfolge der neoliberalen Parteien zu beenden. Es gibt keinen guten Grund, als Partei auf der Seite der Mehrheitsbevölkerung dieses Thema nicht offensiv in die Öffentlichkeit zu tragen und auch im Wahlkampf zu nutzen, um die anderen Parteien auszustechen.
9. Entlastung der großen Mehrheit durch einen deutlich höheren Grundfreibetrag der Einkommensteuer
Erster Beitrag zur Brutto-Netto-Entlastung
Nachdem DIE LINKE aufgrund der Entscheidung ihres Bundesparteitags von 2015 ihr Steuerkonzept grundlegend überarbeitet hatte, gab es in dem Moment, dass die Mainstreammedien sich mit dem Thema befassten, unserer Kenntnis nach ausschließlich positive Reaktionen.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) titelte 2017 in einem ausführlichen Kommentar „Der große Steuerbetrug“. Damit meinte sie alle anderen Parteien außer der LINKEN, lobte DIE LINKE für ihre Klarheit und beschwerte sich über die anderen Parteien, dass sie die Steuerpolitik „nach links außen“ delegierten. https://web.archive.org/web/20170515023600/https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/kommentar-der-grosse-steuerbetrug-15014510.html
2021 wurde eine von der Süddeutschen Zeitung in Auftrag gegebene Studie veröffentlicht, in welcher die Einkommensteuerkonzepte der Bundestagsparteien verglichen wurden. Das Ergebnis wurde auf dem Portal statista.com veröffentlicht und visualisiert (Originalgrafik siehe unten). Hier sprang die zentrale Aussage ins Auge, dass die Konzepte von CDU und FDP für „die Mitte“ die geringsten und das Konzept der LINKEN deutlich höhere und auch insgesamt die höchsten steuerlichen Entlastungen bringt.
Quelle: Vollständige Originalgrafik von https://de.statista.com/infografik/25282/veraenderung-der-jahreseinkommen-durch-die-vorschlaege-der-parteien/
10. Weitere Entlastungen durch Korrekturen bei den Sozialversicherungen
Zweiter Beitrag zur Brutto-Netto-Entlastung
Der eingangs erwähnte Betrag von rund 2.000 EUR pro Jahr als Entlastung ergibt sich in Summe aus der steuerlichen Entlastung und einer grundlegenden Korrektur bei der Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge. „Rund 2.000 EUR pro Jahr“ ist natürlich nur eine größenordnungsmäßige Angabe. Der tatsächliche Entlastungsbetrag ergibt sich individuell je nach Bruttoeinkommen und überhaupt schon gezahlten Abgaben und kann maximal rund 2.500 EUR sein (Berechnungen dazu gab es zuletzt im Jahr 2017, siehe www.dasrechnetsich.org). Für den Anteil „Sozialversicherungen“ geht es um sämtliche gesetzlichen Sozialversicherungen, also die Kranken- und Pflegeversicherung, die Renten- und die Arbeitslosenversicherung.
Mit der Unterstützung der großen Mehrheit, die davon deutlich spürbar profitieren würde, soll das Prinzip durchgesetzt werden, dass alle Einkommensbezieher von ihrem gesamten Einkommen den gleichen Prozentsatz in diese Kassen einzahlen. Dieser Prozentsatz kann dann in vielen Fällen, wie z.B. bei der gesetzlichen Krankenversicherung (gKV), gesenkt werden.
Denn wenn auch Millionen- und Milliarden-Euro-Einkommen vollständig verbeitragt werden und von ihrem Gesamtbetrag ein fester Prozentsatz in die gesetzlichen Sozialversicherungskassen fließt, dann dürften die Einnahmen dieser Kassen förmlich explodieren. Dann werden für die große Mehrheit gleichzeitig mit geringeren Beitragszahlungen die Versicherungsleistungen massiv verbessert und Zusatzbeiträge, Krankenhaustagegelder, Rezeptgebühren usw. können der Vergangenheit angehören. Zurzeit fallen hohe Einkommen aus der Verbeitragung für die Sozialversicherungen nahezu vollständig heraus. Denn Bezieher von schwindelerregend hohen Einkommen, auch in Höhe von Millionen oder Milliarden Euro jährlich, zahlen aufgrund der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze nur Beiträge in die gesetzliche Sozialversicherung, als wenn ihr monatliches Einkommen im Bereich von rund 5.000 (Kranken- und Pflegeversicherung) bzw. rund 7.000 EUR (Renten- und Arbeitslosenversicherung) läge.
Offenbar damit dieser empörende Zustand nicht auf allzu lächerliche Art und Weise jedem Menschen deutlich wird, der auch nur einen Augenblick damit in Berührung kommt, hat der Gesetzgeber außerdem die sogenannten Versicherungspflichtgrenzen eingerichtet, so dass Menschen, deren Einkommen eine gewisse Grenze überschreitet, sich sowieso schon pauschal aus den gesetzlichen Sozialversicherungen „abmelden“ und ihre Versorgung privat finanzieren können.
Dies muss mit der Unterstützung der Bevölkerung Geschichte werden. Die möglichen Effekte zugunsten der großen Mehrheit konnte man schon bei den Konzepten zu Sozialversicherungen im Programm der Partei DIE LINKE begutachten.
Diese Partei hatte dies jedoch nur isoliert als „solidarische Gesundheitsversicherung“ vorgestellt. Beispielsweise hatte ihre Bundestagsfraktion sie als Titelthema einer Ausgabe ihrer bundesweiten Zeitung KLAR beworben. Das konnte bei der Bevölkerung aber nur so ankommen, als ob es ein weiterer für DIE LINKE üblicher Aufruf zu Solidarität mit allem und jedem wäre, wobei die große Mehrheit das Gefühl hat, dass ihre Belange keine Rolle spielen. DIE LINKE versäumte es vollständig, der Bevölkerung in auch nur einer bundesweit verbreiteten Veröffentlichung deutlich zu machen, dass es um summa summarum jährliche Gesamtentlastungen von rund 2.000 EUR/Jahr ging.
Diese Aufgabe kann nun einer neuen, konsequent am Interesse der großen Mehrheit orientierten Formation zufallen. Wenn sie erfüllt wird, können es sich alle anderen Parteien in Zukunft schenken, in ihren Wahlkämpfen irgendwie das Wort „Entlastung“ in den Mund zu nehmen.
Die Gesamtentlastungen, die aus beiden Veränderungen – aus der Erhöhung des Grundfreibetrags der Einkommensteuer und aus den Korrekturen bei den Sozialversicherungen – resultieren, wurden im Konzept für Steuern und Sozialabgaben der LINKEN im Jahr 2017 deutlich. Sie wurden vor allem im Rahmen des leider auf Niedersachsen beschränkten Öffentlichkeitsprojekts „Das rechnet sich“ klar nachgewiesen. Dies und auch die Tabelle mit den Gesamtentlastungen für unterschiedliche Einkommensbereiche mit Stand des Jahres 2017 ist nach wie vor online:
Quelle: www.dasrechnetsich.org, Zahlen bezogen auf Alleinstehende, für Einzelheiten siehe Dokumentation auf der Website. (Die Zahlen beziehen sich auf das Steuerkonzept der LINKEN von 2017 im Vergleich zu den ebenfalls 2017 gesetzlich geltenden Abzügen vom Einkommen.)
11. Fixierung auf den Export und Ausbeutung der eigenen Bevölkerung:
Diese imperialistische Politik muss im Interesse der großen Mehrheit beendet werden.
Dem Kapital ist es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gelungen, immer mehr die große Mehrheit zur Einkommensquelle des Staates zu machen und sich selbst so extrem zu entlasten, dass die Staatsfinanzen in fast allen Bereichen nicht im Entferntesten ausreichen.
Durch seine eigenen Entlastungen und die gleichzeitig bewirkte Lohndrückerei wurde das deutsche Kapital eine lange Zeit im internationalen Konkurrenzkampf für seine imperialistischen Ambitionen gestärkt. Es profitierte von konkurrenzlos niedrigen Lohnstückkosten und eine geringe Beteiligung an den Kosten der Infrastruktur (Bildung, Verkehr usw.). Deutschland war lange Zeit Netto-Export-Weltmeister.
Auf der anderen Seite kann von dem, was von der breiten Bevölkerung zu holen ist, nur noch ein Torso eines Sozialstaats finanziert werden. Das ist die Realität, mit der wir bisher konfrontiert sind.
Die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank zeigen die Veränderungen in der Steuerpolitik seit den 60er Jahren auf drastische Weise:
Solidarität hat so in den Ohren der großen Mehrheit einen neuen Klang bekommen. Sie ist als Begriff vergiftet worden:
An erster Stelle hat man sich angeblich um den Nationalstaat zu sorgen, der sich in der internationalen Konkurrenz durchsetzen können muss, also um die stärksten Kapitale, die großen Konzerne. Sie dürfen nach dieser Logik nahezu gar nicht mehr zur Mitfinanzierung des Sozialstaats und der öffentlichen Infrastruktur verpflichtet werden. Dann bleibt nur noch, die „Solidarität“, also Infrastruktur und Sozialstaat, durch die niedrig und normal Verdienenden finanzieren zu lassen, auch durch den Schnitt in ihr eigenes Existenzminimum. Es ist alles andere als verwunderlich, dass diejenigen mit Aufrufen zur Solidarität immer weniger erreichbar sind und zunehmend AfD und andere antisoziale Parteien wählen.
Wenn wir die Bevölkerung für eine Befreiung von ihrer Überbelastung gewinnen und die Einnahmequellen erschließen, die durch die Besteuerung von Unternehmen und Reichen, also die Besteuerung des Kapitals, aktivierbar sind, füllen wir nicht nur die öffentlichen Kassen. Wir entziehen gleichzeitig dem Kapital das Spielgeld, das es seit Jahrzehnten für den Aufkauf von Krankenhäusern, Wohnungsgesellschaften und abenteuerliche Finanzspekulationen verwendet hat. Daher könnten wir als konsequent antikapitalistische Formation die berechtigte Hoffnung haben, dass sich sehr viel von dem, was wir in den letzten Jahrzehnten leider erleben mussten, nicht mehr in der aktuellen Ausprägung wiederholen wird: Mietwucher, Krankenhausprivatisierungen ebenso wie Spekulationskrisen an den Börsen würde unser Programm entgegenwirken. Und die Finanzierung des vielbeschworenen „sozialökologischen Umbaus“ könnte endlich in den Bereich der Realisierbarkeit rücken. Die Umsetzung eines solchen, relativ einfachen Programms kann mit Unterstützung der Bevölkerung, jedoch nicht in unterwürfiger Absprache mit SPD und GRÜNEN oder irgendwelchen anderen Kapitalparteien gelingen.
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